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Britischer Lancester-Bomber während der Bombardierung der Insel Wangerooge, 25. April 1945 (The National Archives Kew, AIR 14/3647)

Luftangriff auf Wangerooge

Im Hauptquartier der kanadischen Truppen bei Meppen fällt am 24. April die Entscheidung, die „Festung“ Wangerooge zu bombardieren.

Am folgenden Tag starten in Südengland gegen 14:30 Uhr über 480 kanadische, britische und französische Bomber und legen die Insel in nur 15 Minuten weitgehend in Schutt und Asche. Insgesamt sterben durch den Großangriff fast 300 Personen: Soldaten, Insulaner und in großer Zahl auch ausländische Zwangsarbeiter, die unter anderem bei der Wehrmacht eingesetzt waren.

Auch unter den Alliierten befinden sich Opfer. So gerät einer der kanadischen Flieger in Luftnot und muß per Fallschirm auf der Insel landen. Er wird von vier deutschen Marineangehörigen aufgegriffen. Einer von ihnen hatte bei einem Luftangriff auf Hamburg seine gesamte Familie verloren. Vermutlich aus Rache erschießt er den Kanadier ohne lange zu zögern. Anschließend wird der Tote, den Kopf an einer Kette hängend, mit einem Pferd vom Tatort fortgeschleift und auf einer Wiese verscharrt. Sicherlich nicht ohne Absicht taucht in einer später angefertigten Gräberliste das Grab mit dem Vermerk auf: „1 Ausländer, erschossen (Plünderer).“

Literatur:
Hans-Jürgen Jürgens: Zeugnisse aus einer unheilvollen Zeit, 4. Aufl. Jever 1991

„Sandbostel 20 Aprile [1]945 notte. Ammutinamento internati politici“. Die Zeichnung des italienischen Militärinternierten Allessandro Berretti ist das einzige bekannte Bildzeugnis des Aufstandes der KZ-Häftlinge im Lager Sandbostel (Alessandro Berretti, nicht datiert [1945 oder 1946]. Aus: Alessandro Berretti: Attenti al filo!, Genua 1946, ohne Seitenzahl)

Aufstand der KZ-Häftlinge und „Hungerrevolte“ im Stalag X B Sandbostel

Am späten Abend des 19. April 1945 bricht unter den KZ-Häftlingen im Stalag X B ein Aufstand aus. Erst kurz zuvor hatten sie das Kriegsgefangenenlager in Sandbostel erreicht. Hinter ihnen lagen Todesmärsche von mehren Tagen Dauer. Wahrscheinlich löst die Anordnung der SS, alle 9.500 KZ-Häftlinge wieder zurück nach Hamburg zu bringen, die Revolte aus.

Die Häftlinge widersetzen sich, werfen sich auf den Boden, krallen sich im Gras fest und versuchen verzweifelt, ihre erneute Deportation zu verhindern. Nur wenige Hundert kann die SS zusammentreiben.
Vermutlich zu dem Zeitpunkt, als die Wachen einen Appell abhalten, um die marschfähigen Häftlinge zu zählen und aus dem Lager zu bringen, ertönt Fliegeralarm. Die Wachen fliehen von ihren Posten in die angrenzenden Luftschutzbunker. Während nun im hinteren Lagerbereich Häftlinge die unübersichtliche Situation nutzen, um über den Stacheldrahtzaun aus dem Lager zu fliehen, stürmen andere am Eingang des Lagers auf der Suche nach Essbarem eine jenseits des Zauns gelegene Lagerküche.

Bis spät in die Nacht versuchen SS-Männer und Wehrmachtssoldaten Herr der Lage zu werden. Sie erschiessen dabei rücksichtslos mehrere Hundert Häftlinge. Andere werden von Häftlingen totgetreten, die in Panik flüchten.

Am 20. April setzt sich die SS, Teile des Kommandanturstabes des Stalag X B und Wachsoldaten mit etwa 400 noch marschfähigen Häftlingen in Richtung Norden ab.

Weblink:
Gedenkstätte Lager Sandbostel, KZ-Häftlinge im Stalag X B >> http://www.stiftung-lager-sandbostel.de/sls/kzhaeftlinge.html

Kommandanturbefehl des Stalag X B Sandbostel vom 22. März 1945. (Deutsche Dienststelle Berlin, Mappe „Sowjet. Rus. Kgf.. Stalag X“)

Überstellung von drei sowjetischen Kriegsgefangenen an die Geheime Staatspolizei in Lüneburg

Der Kommandant des Stalag X B Sandbostel teilt dem Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X in Hamburg die Überstellung von drei sowjetischen Kriegsgefangenen an die Gestapo Lüneburg mit.

Efim Neshenez, Timofij Utkin und Fedor Krasnokutski gehören dem Arbeitskommando 1239 Ratsmühle in Lüneburg an. Ihnen wird vorgeworfen, während eines Fliegeralarms Schokolade, Zucker und Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Der Kommandant des Lagers Sandbostel bewertet dies als so schwerwiegend, dass ihm die „Entlassung“ aus der Kriegsgefangenschaft erforderlich erscheint. Damit verlieren die drei ihren Status als Kriegsgefangene. Der Übergabe an die Gestapo folgt in der Regel die Einweisung in ein Konzentrationslager. Das weitere Schicksal von Efim Neshenez, Timofij Utkin und Fedor Krasnokutski ist nicht bekannt.

Baustelle an der Stollenanlage des Bauprojektes Dachs IV, 17. Dezember 1944. (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Sammlung Jürgen Müller)

Auflösung des KZ-Außenlagers „Dachs IV“ in Osterode-Petershütte

Mit dem Abtransport von 716 Häftlingen, darunter etwa zur Hälfte Juden, die erst wenige Wochen zuvor aus Auschwitz in den Harz verschleppt worden waren, räumt die SS am 21. März 1945 das zum KZ Mittelbau-Dora gehörende Außenlager „Dachs IV“ in Petershütte bei Osterode am Harz. Die Häftlinge werden in ein KZ-Außenlager in der Boelcke-Kaserne in Nordhausen gebracht. Dort hat die SS das zentrale Kranken- und Sterbelager des KZ Mittelbau eingerichtet. Nur wenige der aus Osterode in die Boelcke-Kaserne gebrachten Häftlinge erleben das Kriegsende.

In Petershütte sollte eine unterirdische Erdölraffinerie für die Rhenania-Ossag AG aus Hamburg entstehen. Für den Ausbau der Stollenanlagen zog die Organisation Todt neben zivilen ausländischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und sogenannten „Halbjuden und jüdisch Versippten“ auch bis zu 800 Häftlinge aus dem KZ Mittelbau-Dora heran, die ab November 1944 in einem Barackenlager in der Nähe der Baustelle untergebracht waren. Die Bauarbeiten wurden trotz des Abzugs der KZ-Häftlinge am 21. März 1945 noch bis Anfang April 1945 fortgeführt. Trotzdem wurde die Stollenanlage nicht fertig gestellt. Seit 2002 erinnert ein Gedenkstein vor den Ende der 1940er Jahre gesprengten Stolleneingängen an das Konzentrationslager.

Literatur:
Jürgen Müller: Dachs IV – der Bau des unterirdischen Hydrierwerkes Dachs IV bei Osterode im Harz zum Ende des zweiten Weltkrieges, Clausthal-Zellerfeld 2004.

Aus dem Tagebuch von Arieh Koretz, Häftling im KZ Bergen-Belsen

Am 22. Februar 1945 befindet sich Arieh Koretz im „Sternlager“, einem Teillager des KZ Bergen-Belsen für jüdische Austauschhäftlinge. Hier führt er ein Tagebuch in neugriechischer Sprache. Er fasst die Ereignisse von Mitte Februar bis Mitte März 1945 in einem Eintrag zusammen.

„Im letzten Monat hat sich die Situation im Lager verändert und bis zur Unkenntlichkeit verschlimmert. Jeden Tag kommen neue Gruppen von Häftlingen und bei jeder dieser Gruppen sind viele, wenn nicht hunderte, von Toten und Halbtoten.
Die Toten werden schon lange nicht mehr im Krematorium verbrannt, der Platz reicht nicht aus, man verbrennt sie einfach draußen, auf Holz, eine Reihe Leichen und eine Reihe Holz. Es gibt Tage, an denen wir 700 bis 800 Tote haben, die so verbrannt werden. Der Rauch und Geruch der versengten Leichen ist in der ganzen Gegend spürbar. Am Anfang war es schwer, sich daran zu gewöhnen.
Der Hunger, der jetzt im Lager herrscht, ist entsetzlich und unvorstellbar, er bringt Menschen einfach um ihren Verstand. Alle stehlen von allen. Die SS-Leute toben, drücken sich den ganzen Tag herum, brüllen und schlagen. (…)
Der Krieg geht noch weiter und man sieht kein Ende. Ob wir überhaupt das Kriegsende erleben werden?“

1928 als Leo Koretz in Hamburg geboren, wurde Arieh Koretz mit seiner Familie über das Ghetto Saloniki 1943 in das KZ Bergen-Belsen deportiert. Am 23. April 1945 wird er auf einem Räumungstransport bei Tröbitz befreit.

 

Literatur:
Arieh Koretz: Bergen-Belsen. Tagebuch eines Jugendlichen 11.7.1944 – 30.3.1945. Göttingen 2011.