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Einmarsch der britischen Armee im Stalag XB Sandbostel am 30. April 1945, einen Tag nach der Befreiung. Fotograf: Georges Chertier (Amicale de Neuengamme, Reims, Frankreich)

Befreiung der Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge im Stalag XB Sandbostel – das „kleine Belsen“

Am Nachmittag des 29. April 1945 erreichen die ersten britischen Soldaten des 1st Motor Battalion der King‘s Company der Grenadier Guards und des No 2 Squadron des 2nd Armoured Battalion der Grenadier Guards das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Vorausgegangen waren heftige Kämpfe mit Einheiten des Panzerkorps „Großdeutschland“.

Jubel über die Ankunft der Befreier kam allenfalls bei den Kriegsgefangenen auf. Die meisten KZ-Häftlinge dagegen waren zu schwach. Der russische KZ-Häftling Iwan Dmitrijewitsch Stadnitschuk schreibt: „(…) ein Häftling (kam) in unsere Baracke gerannt und rief: ‚Der Krieg ist zu Ende!‘ Ich erhob mich vom Boden auf die Knie, schaute durch das Fenster, weinte und legte mich wieder hin. Der Krieg war zu Ende und ich dachte mit Tränen daran, was nun mit uns geschehen würde.“

Obwohl zuvor geflohene Kriegsgefangene bereits über die katastrophalen Zustände insbesondere im Lagerteil mit den etwa 9.500 KZ-Häftlingen berichtet hatten, waren die britischen Soldaten bei ihrer Ankunft zutiefst erschüttert. Unbestattete Leichen, zu Skeletten abgemagerten Menschen, Dreck und Gestank. Das Lager Sandbostel erschien ihnen wie ein „kleines Belsen“.

Die ersten Wochen nach der Befreiung waren von umfangreichen Rettungs- und Hilfsmaßnahmen durch das Royal Army Medical Corps geprägt.

Website:
www.stiftung-lager-sandbostel.de

„Sandbostel 20 Aprile [1]945 notte. Ammutinamento internati politici“. Die Zeichnung des italienischen Militärinternierten Allessandro Berretti ist das einzige bekannte Bildzeugnis des Aufstandes der KZ-Häftlinge im Lager Sandbostel (Alessandro Berretti, nicht datiert [1945 oder 1946]. Aus: Alessandro Berretti: Attenti al filo!, Genua 1946, ohne Seitenzahl)

Aufstand der KZ-Häftlinge und „Hungerrevolte“ im Stalag X B Sandbostel

Am späten Abend des 19. April 1945 bricht unter den KZ-Häftlingen im Stalag X B ein Aufstand aus. Erst kurz zuvor hatten sie das Kriegsgefangenenlager in Sandbostel erreicht. Hinter ihnen lagen Todesmärsche von mehren Tagen Dauer. Wahrscheinlich löst die Anordnung der SS, alle 9.500 KZ-Häftlinge wieder zurück nach Hamburg zu bringen, die Revolte aus.

Die Häftlinge widersetzen sich, werfen sich auf den Boden, krallen sich im Gras fest und versuchen verzweifelt, ihre erneute Deportation zu verhindern. Nur wenige Hundert kann die SS zusammentreiben.
Vermutlich zu dem Zeitpunkt, als die Wachen einen Appell abhalten, um die marschfähigen Häftlinge zu zählen und aus dem Lager zu bringen, ertönt Fliegeralarm. Die Wachen fliehen von ihren Posten in die angrenzenden Luftschutzbunker. Während nun im hinteren Lagerbereich Häftlinge die unübersichtliche Situation nutzen, um über den Stacheldrahtzaun aus dem Lager zu fliehen, stürmen andere am Eingang des Lagers auf der Suche nach Essbarem eine jenseits des Zauns gelegene Lagerküche.

Bis spät in die Nacht versuchen SS-Männer und Wehrmachtssoldaten Herr der Lage zu werden. Sie erschiessen dabei rücksichtslos mehrere Hundert Häftlinge. Andere werden von Häftlingen totgetreten, die in Panik flüchten.

Am 20. April setzt sich die SS, Teile des Kommandanturstabes des Stalag X B und Wachsoldaten mit etwa 400 noch marschfähigen Häftlingen in Richtung Norden ab.

Weblink:
Gedenkstätte Lager Sandbostel, KZ-Häftlinge im Stalag X B >> http://www.stiftung-lager-sandbostel.de/sls/kzhaeftlinge.html

Mitteilung des Lagerarztes im Stalag XB, Dr. Rudolf Adam, 14. April 1945. Dr. Rudolf Adam informierte den Wehrkreisarzt X in Hamburg mit diesem Schreiben über die Ankunft eines Transportes mit 2470 KZ-Häftlingen im Kriegsgefangenenlager Sandbostel. (The National Archives, London WO 309-414)

Ankunft von ersten KZ-Häftlingen im Kriegsgefangenenlager Sandbostel

Am 13. April 1945 erreicht ein erster Transport mit 2.470 KZ-Häftlingen das nahe des Dorfes Sandbostel gelegene Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) X B. Die Häftlinge kamen aus dem zuvor geräumten Konzentrationslager Neuengamme und einigen Außenlagern im Bremer Raum.

Eigentlich sollten dieser und später folgende Transporte in das KZ-Bergen-Belsen gebracht werden. Da die britische Armee aber schon im Begriff war das KZ Bergen-Belsen zu befreien, wurden die Transporte umgeleitet und einige gelangten schließlich in das Stalag X B Sandbostel.

Der Lagerarzt Dr. Rudolf Adam bescheinigt in einem Bericht am 14. April, dass die Häftlinge „sich im schlechtesten Kräfte- und Ernährungszustand“ befinden, dass „mit Sicherheit anzunehmen (sei), dass ansteckende Krankheiten vorliegen“ und dass „sofortige ärztliche Maßnahmen (…) dringend erforderlich“ seien. Umgehend wurde Dr. Adam von der Wehrmachtskommandantur des Lagers mitgeteilt, dass er „mit der ärztlichen Betreuung der K.Z.-Häftlinge“ nichts zu tun habe. „Die Häftlinge unterstehen in jeder Hinsicht der Polizei“. Polizei steht in diesem Fall synonym für die SS.

Insgesamt erreichten 9.500 KZ-Häftlinge das Stalag X B Sandbostel und wurden unter katastrophalen Bedingungen weitgehend sich selbst überlassen. Auf den Transporten, im Stalag X B und nach der Befreiung starben etwa 3.000 Häftlinge. Die meisten von ihnen sind heute auf der „Kriegsgräberstätte Sandbostel“ bestattet, dem ehemaligen Lagerfriedhof.

Website:
Gedenkstätte Lager Sandbostel >> www.stiftung-lager-sandbostel.de

 

Auf dem Marsch von Groß Born nach Sandbostel. Undatierte Zeichnung von Wieslaw Chrzanowski, Oberleutnant der Armia Krajowa und Kriegsgefangener in den Lagern Fallingbostel, Bergen-Belsen, Groß Born, Sandbostel und Lübeck. (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten/Dokumentationsstelle Celle)

Ankunft einer Marschkolonne polnischer Kriegsgefangener im Stalag X B Sandbostel

„Was wir in Sandbostel gesehen haben, übertraf unsere schlimmsten Erwartungen. Überall ein unbeschreiblicher Schmutz, überall Abfallhaufen, irgendwelche Gemüsehalden, Stapel von Brettern und anderem Baumaterial, hinzu kam noch das Organisationschaos, auf die Zuteilung unserer Quartiere mussten wir mehrere Stunden lang warten.“ So schildert Jerzy Jabrzembski, Offizier der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), später seine ersten Eindrücke.

Bei ihrem Eintreffen in Sandbostel haben die Kriegsgefangenen mehr als 600 Kilometer Fußmarsch hinter sich. Sie kommen aus dem Lager Groß Born in Pommern, das am 28. Januar bei Annäherung der sowjetischen Truppen geräumt worden ist. 5.000 Gefangene werden bei starkem Frost und Schneesturm in Richtung Westen getrieben, darunter auch 500 Männer, die erst am 12. Januar im Zuge der Auflösung des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen mit dem Zug nach Groß Born transportiert worden sind.

Nach kurzem Aufenthalt in Sandbostel werden die polnischen Gefangenen am 11. April erneut zu Fuß in Marsch gesetzt und erreichen schließlich das Offizierslager Lübeck, wo sie am 2. Mai von britischen Truppen befreit werden.

Kommandanturbefehl des Stalag X B Sandbostel vom 22. März 1945. (Deutsche Dienststelle Berlin, Mappe „Sowjet. Rus. Kgf.. Stalag X“)

Überstellung von drei sowjetischen Kriegsgefangenen an die Geheime Staatspolizei in Lüneburg

Der Kommandant des Stalag X B Sandbostel teilt dem Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis X in Hamburg die Überstellung von drei sowjetischen Kriegsgefangenen an die Gestapo Lüneburg mit.

Efim Neshenez, Timofij Utkin und Fedor Krasnokutski gehören dem Arbeitskommando 1239 Ratsmühle in Lüneburg an. Ihnen wird vorgeworfen, während eines Fliegeralarms Schokolade, Zucker und Kleidungsstücke gestohlen zu haben. Der Kommandant des Lagers Sandbostel bewertet dies als so schwerwiegend, dass ihm die „Entlassung“ aus der Kriegsgefangenschaft erforderlich erscheint. Damit verlieren die drei ihren Status als Kriegsgefangene. Der Übergabe an die Gestapo folgt in der Regel die Einweisung in ein Konzentrationslager. Das weitere Schicksal von Efim Neshenez, Timofij Utkin und Fedor Krasnokutski ist nicht bekannt.