Archiv des Autors: Marlis Buchholz

Aufgebahrt auf Lastwagen werden die Leichen zur Begräbnisstätte am Maschsee transportiert (Imperial War Museum London, Bestand Aufnahmen US-Signal Corps EA 65377)

Die Exhumierungen auf der Seelhorst

Auf Veranlassung der Alliierten werden am 2. Mai 1945 die Leichen von 153 sowjetischen Männern und einer Frau auf dem Seelhorster Friedhof in Hannover exhumiert. Sie waren am 6. April auf dem Friedhof durch die Geheime Staatspolizei erschossen worden. Viele von ihnen kamen aus dem Arbeitserziehungslager Lahde und waren Anfang April für kurze Zeit im Polizeiersatzgefängnis Ahlem interniert.

Während der Exhumierungen werden am 2. und 3. Mai weitere Massengräber mit den Leichen von 526 ausländischen Zwangsarbeitern sowie Häftlingen aus hannoverschen Konzentrationslagern entdeckt, die zumeist durch Entkräftung und Krankheit gestorben waren. Sie stammten aus der Sowjetunion, Lettland, Frankreich, Polen, Holland, Griechenland, Belgien, Italien und Jugoslawien.

Unter der von den Alliierten angeordneten Beteiligung der Bevölkerung werden am 2. Mai 1945 insgesamt 386 Leichen von der Seelhorst über die Hildesheimer Straße zum Ehrengrab am Nordufer des Maschsees überführt: „Die Exhumierung selbst und die Bestattung hatten stadtbekannte Angehörige der NSDAP durchzuführen.“

Am 16. Oktober 1945 findet die feierliche Einweihung der Ehrenmals statt. Das von dem ukrainischen Bildhauer Mykola Muchin-Koloda gestaltete Mahnmal zeigt das aus Marmor gearbeitete Relief eines trauenden Soldaten.

Die nicht zum Maschsee überführten Toten fanden auf dem Seelhorster Friedhof ihre Ruhestätte.

Literatur:
Die Erschießungen auf dem Seelhorster Friedhof 1945. Hannoversche Geschichtsblätter 59/2005 Beiheft 3

Informationen im Internet:
Geschichts- und Erinnerungstafel Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge >> http://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaette/hannover-mitte-friedhof-maschsee-nordufer.html

Auszug aus dem „Heidehaus-Buch“: Einlieferungen am 12. April 1945 (Stadtarchiv Hannover | Lungenheilstätte Heidehaus | Nr. 1677)

Das „Heidehausbuch“

Am 5. April 1945 beginnen im Außenlager Ahlem des KZ Neuengamme die Vorbereitungen für den „Evakuierungsmarsch“. Einen Tag später verlassen etwa 600 „marschfähige“ Häftlinge unter Bewachung von SS-Männern zu Fuß das Lager; Zielort ist das KZ Bergen-Belsen. Zurück bleiben über 200 kranke Häftlinge, die am 10. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit werden. Die Überlebenden werden am 12. April 1945 in verschiedenen Krankenhäusern untergebracht. 186 Männer kommen in das städtische „Heidehaus“ in Stöcken – zwei Drittel von ihnen sind polnische Juden.

Das für das „Heidehaus“ überlieferte „Register der Häftlinge aus dem Lager Ahlem“ nennt ihre Namen, ihre Geburtstage und Geburtsorte, ihre Religionszugehörigkeit, ihre Berufe und das Entlassungsdatum. Es nennt aber auch die Todesursachen der über 40 Männer, die noch im „Heidehaus“ an den Folgen der Misshandlungen und Strapazen der Haftzeit sterben.

Literatur:
Janet Anschütz/ Irmtraud Heike: „Wir wollten Gefühle sichtbar werden lassen“. Bürger gestalten ein Mahnmal für das KZ Ahlem. Bremen 2004

Christoph Gutmann: KZ Ahlem – Eine unterirdische Fabrik entsteht, in: Rainer Fröbe u.a.: Konzentrationslager in Hannover. KZ-Arbeit und Rüstungsindustrie in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Zwei Bände. Hildesheim 1985, Band 1, S. 331-401

Links: Nadja Podmogilnaja, ca. 1944 (Stadtarchiv Hannover, Sammlung Zwangsarbeiter/Bilddateien/173244-833/Wlasenko Bogdan (Nadja Podmogilnaja). Rechts: Pjotr Palników, undatiert (RGASPI, Moskau, Bestand 117, Findbuch 1, Nr. 2090)

Erschießungen auf dem Seelhorster Friedhof

In den letzten Kriegswochen weist das Reichssicherheitshauptamt die Gestapo-Stellen an, jene Häftlinge zu exekutieren, die ein „Todesurteil“ zu erwarten haben. In Hannover werden deshalb am Freitag, den 6. April 1945 – vier Tage vor der Befreiung – über 150 Personen vom Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem zum Stadtfriedhof Seelhorst getrieben. Es handelt sich vorwiegend um sowjetische Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter, die entweder aus dem kurz zuvor aufgelösten Arbeitserziehungslager Lahde bei Minden kamen oder im Polizeiersatzgefängnis in Ahlem einsaßen. Auf dem Marsch durch die Stadt können mehrere von ihnen entkommen.

Auf dem Friedhof müssen sich die Häftlinge an das von ihnen selbst ausgehobene Massengrab stellen. Sie werden von Angehörigen der Gestapo erschossen – unter den 154 Ermordeten als einzige Frau die in Charkow geborene Nadja Podmogilnaja, die zur Zwangsarbeit nach Hannover verschleppt worden war. Dem ebenfalls aus Charkow stammenden Peter Palników gelingt als Einzigem die Flucht. Nach der Befreiung informiert er die Alliierten über die Erschießungen auf der Seelhorst. Auf Veranlassung der Alliierten werden die Leichen am 2. Mai 1945 exhumiert und am Nordufer des Maschsees in einem Ehrengrab beigesetzt.

Literatur:
Die Erschießungen auf dem Seelhorster Friedhof 1945. Hannoversche Geschichtsblätter 59/2005 Beiheft 3

Informationen im Internet:
Geschichts- und Erinnerungstafel Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge >> http://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaette/hannover-mitte-friedhof-maschsee-nordufer.html

Drei Häftlingsbaracken im Lager Stöcken (Musée de l’Ordre de la Libération, Paris | N° inventaire: N3279 | Mur Galerie Déportation)

Ein Zeichner im KZ

Auf den 12. März 1945 datiert der französische Künstler und Kunstlehrer René Baumer eine Bleistiftzeichnung von drei Baracken des KZ Hannover-Stöcken.

René Baumer, geboren 1906 in La Mulatière, tritt im Frühjahr 1940 der Résistance bei. Anfang April 1944 wird er verhaftet und für sechs Wochen im Gestapo-Gefängnis Montluc in Lyon inhaftiert. Über das Durchgangslager Compiègne bei Paris kommt er Anfang Juni 1944 in das KZ Neuengamme. Einen Monat später wird er dem KZ Hannover-Stöcken zugeteilt, einem Außenlager von Neuengamme. Er musste in der Bleigießerei der Akkumulatorenfabrik arbeiten. Bei der Räumung des Lagers am 7. April 1945 wurde er zu Fuß in das KZ Bergen-Belsen verbracht und dort am 15. April 1945 befreit. Er kehrte im Mai 1945 nach Frankreich zurück und starb 1982 in Lyon.

Überliefert sind 58 zeitgenössische und später angefertigte Zeichnungen mit Porträts von Mithäftlingen und Szenen aus den Lagern Stöcken und Bergen-Belsen, die im Musée de l’Ordre de la Libération in Paris aufbewahrt werden. Für Baumer war das Zeichnen ein Weg, die schockierenden Erfahrungen seiner KZ-Haft zu verarbeiten.

Literatur:
Rainer Fröbe: Exkurs: René Baumer – Ein Zeichner im KZ. Kunst, Widerstand und Identität im Konzentrationslager, in: ders. u.a., Konzentrationslager in Hannover. KZ-Arbeit und Rüstungsindustrie in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Zwei Bände. Hildesheim 1985, Band 1, S. 109-130

Maike Bruhns: „Die Zeichnung überlebt…“ Bildzeugnisse von Häftlingen des KZ Neuengamme, Bremen 2007

Websites:
Offizielle Homepage von René Baumer >> http://www.renebaumer.free.fr
Musée de l’Ordre de la Libération >> http://www.ordredelaliberation.fr/fr_doc/3_2_3_deportation.php